Last updated on August 30, 2023
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Wenn die Sonne lacht
8 Uhr Morgens der Herbergsvater kommt in seinem kleinen Auto angerast, er hat sich um eine halbe Stunde verspätet. Macht mir nichts, denn ich habe geduldig auf ihn gewartet und bin ihm mehr als dankbar, dass er extra für mich die Bar öffnet und mir ein fantastisches Frühstück bereitet. Nur meine Finger sind etwas abgefroren. Kaffee, hervorragenden Toast, Aufstrich. Der perfekte Start in den letzten Tag für mich auf dem Camino. Heute geht es für mich bis an die Westküste. Ans Ende meines physischen Weges hier in Spanien. Ans Ende der Welt. Nun denn, Buen Camino, Felix!
Ich breche 8.30 Uhr auf, hinter mir der Sonnenaufgang, blauer Himmel. Aufwärts nach Hospital. Zwei Buggyfahrer rauschen lautstark an mir vorbei – das ist geschummelt! Einmalige Landschaft, gesegnet mit bestem Wetter. Der Weg läuft sich heute gut und leicht, unbeschwert und frei. Bald muss ich entscheiden, welchen Weg ich nach Fisterra einschlage (über Cee oder Muxia, wobei der zweitere etwas länger ist). Ich beschließe, den Weg über Cee zu gehen und mir Muxia für ein anderes Mal aufzuheben. Denn ich habe beschlossen, heute anzukommen. Bald führt mich der Weg abwärts und ich spüre, dass das Meer nicht mehr weit ist. Sonne, blauer Himmel, leichte Brise. Und bald – das Meer. 11.30 Uhr pausiere ich in Cee, kleiner Snack und durchatmen. Draußen begrüßt mich ein älterer Herr mit einem herzlichen „Guten Morgen“ und geht weiter seines Weges. Nach Cee allerdings verlässt mich meine Kraft entgültig. Jeder Schritt wird für mich zur Qual. Warum ist dieser Jakobsweg eigentlich immer ein ständiges Auf und Ab? Der Kraft. Der Gefühle. Der Gedanken. Immer wieder Hoch und Tief. Immer wieder gut und schlecht? Nie Beständig? Ist der Jakobsweg letztlich nur ein Abbild des langen Weges des Lebens? Mit all den guten und schlechten Dingen? All den glücklichen und unglücklichen Momenten? Nur in sehr konzentrierter, kurzer Form? Quasi ein Zeitraffer durch das eigene vergangene, aktuelle und gar zukünftige Leben? Und lehrt mich, besser mit all dem umzugehen? Die guten Momente aufzusaugen, zu genießen, wahrhaftig zu erleben und Energie zu tanken? Und die schlechten Momente zu erkennen, zu wissen, dass sie nicht für immer andauern und mir lediglich die Richtung weisen und mich erkennen lassen, dass Nichts von Dauer ist? Und ich am Ende nur eine einzige Möglichkeit habe? Nämlich weiterzugehen?
Ich pausiere an einer Bushaltestelle, völlig entkräftet, möchte hier verweilen. Bis zu meinem Ziel vielleicht noch 7km. Und meine Motivation? Irgendwo anders.
Ich versuche, meine letzten Kräfte zu mobilisieren und mich nochmal aufzuraffen. Mit Musik gen Strand, Sand fühlen, Brise spüren. Und das Lächeln kommt zurück. Die letzten Kilometer mit Schmerzen im Knie, ich laufe gefühlt wie ein Pinguin vorwärts. Watschelnd und wenig ansehnlich. Das Kap in Sicht. Kurz vor 14 Uhr erreiche ich das Hotel, welches ich im Vorfeld zusammen mit Ivan und Theresa gebucht habe. Eine heiße Dusche und einen kurzes Schläfchen später, auf zum Nullstein – auf zum Ende der Welt!
Now we are free
In Fisterra angekommen, erhalte ich heute leider keine Compostela, die Albergue ist geschlossen. Aber ich kann sie digital anfordern und bekomme sie dann innerhalb weniger Tage per Post zugeschickt. Toller Service. Für mich geht es nun immer aufwärts, entlang einer viel befahrenen Straße rechts von mir, Steile Klippen links von mir. Und bald erreiche ich ihn. Den Nullstein. 0,00km. Am Ende der Welt. Am Kap Fisterra. Meer vor mir. Der Himmel über mir. Die Erleichterung in mir. Und setze mich an die Klippen. Mit, wie soll es anders sein, einer kalten Dose Bier und ganz pilgerecht – Kartoffelchips. Musik. Das Meer. Und ich. Friedvoll. Gelassen. Erschöpft. Glücklich. Angekommen. Und blicke raus auf das weite Meer. Und blicke in mich. Ivan und Theresa kommen bald an, sie haben sich in Santiago einen Mietwagen organisiert und leisten mir Gesellschaft.
Für uns hält Fisterra heute keinen Sonnenuntergang bereit, es ist leider viel zu bewölkt. Aber dennoch nicht weniger beeindruckend und schön. Wir organisieren uns Pizza und Wein und verbringen den Abend gemeinsam in unserem kleinen Hotelzimmer. Bei Musik und guter Gesellschaft. Hier am Ende der Welt.
Und jetzt?
Jedem Ende wohnt ein Anfang inne. Jeder Weg wird irgendwann enden. Und ein neuer Weg wird beginnen. Alles endet. Und beginnt von Neuem. Ein unaufhörlicher und unwiderruflicher Kreislauf des Lebens. Unaufhaltsam und immer wieder neu. Unvorhersehbar. Aufregend. Herausfordernd. Und bereichernd. Und für mich sollte mein Weg, mein ganz persönlicher Weg, mein ganz besonderes neues Jahr hier erst wirklich beginnen. Mit all den Emotionen, die der Jakobsweg in den letzten vier Wochen aus mir herausgekitzelt hat. Mit all den Herausforderungen, denen ich mich stellen musste. Mit mir selbst. Und mit Dingen, die ich hinterlassen musste und hinterlassen werde. Mich auseinandersetzen mit meiner Vergangenheit, meiner Gegenwart und meiner noch mir unbekannten Zukunft. Doch das ist eine andere Geschichte…
Zusammenfassung Tag 29
O Logoso – Cee – Fisterra – Kap Fisterra
Entfernung: 31,9 km
Gesamtstrecke: 857,9 km
Höhenmeter aufwärts: 683 m ; Höhenmeter abwärts: 860 m
minimale Höhe: 4 m ; maximale Höhe: 380 m
Dauer: 6h 30 min
Fazit des Tages
„Bis ans Ende der Welt für einen neuen Anfang – now we are free“
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