Last updated on Juli 11, 2022
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Tomatenmarmelade zum Frühstück
Die Nacht war wieder sehr unruhig, aber dieses Mal nicht wegen der schnarchenden Pilger oder anderen störenden Geräuschen, sondern weil es in der Bude einfach arschwarm war. Ich habe irgendwann meinen Schlafsack aus dem Bett geworfen und nur noch mit Unterhose bekleidet versucht, die Nacht zu überstehen. Dank Aurelios ruhigen Morgenritualen konnte ich nach dem Aufstehen sogar den Morgen „genießen“, wenngleich sehr zerknautscht, müde und körperlich anwesend, geistig noch ganz woanders.
Felix, der Host, serviert uns heute etwas ganz Besonderes. In Spanien nennen sie es einfach Tomatenmarmelade, weil es eine ähnliche Konsistenz aufweist, wie das süße, klebrige Zuckerzeug. Aber diese „Tomatenmarmelade“ ist der absolute Shit! Gestampfte Tomaten, Öl und Knoblauch vermengt zu einer einmaligen Geschmacksexplosion. Leck(er), einfach der absolute Frühstücksknaller – her mit dem Zeug, drauf auf den Toast und hinein in den Mischer!
Nachdem wir uns an den selbstgemachten Köstlichkeiten satt und fit gegessen haben, kaufe ich heimlich für Ivan (denn er hat morgen Geburtstag) und für mich selbst ein kleines Andenken (eine Jakobsmuschel und ein kleines Armband) bei dem Herbergsvater Felix. Danach machen wir uns gegen 8.15 Uhr auf den Weg, der Tag wird lang, 27km liegen vor uns, Buen Camino, Peregrino!
Zweites Frühstück in Azofra
Der Weg führt uns, wie üblich, hinaus aus der Stadt, bergauf. Heute können wir dank des frühen Aufbruchs den Sonnenaufgang hinter uns beobachten und genießen. Die ersten Schritte und Minuten beim Aufbruch in den neuen Tag sind immer etwas ganz Besonderes. Die kalte Luft strömt durch unsere Nasen, der müde Körper erweckt zum Leben. Und egal wie erledigt, kaputt oder demotiviert man bis zu diesem Zeitpunkt war und ist – beim Lospilgern ins Unbekannte überkommen mich selbst immer ein großer Energieschub und eine große Vorfreude.

Kurz nach dem ersten straffen Aufstieg führt uns der Feldweg bereits wieder bergab (wie so oft auf dem Jakobsweg – warum kann man dann nicht direkt geradeaus laufen, wenn sich die Höhenmeter aufwärts und abwärts eh ausgleichen?), an einer Schweinezucht vorbei. Während wir die Schweinezucht passieren, werden wir von neugierigen älteren Männern mit Hunden an der Leine beobachtet und freundlich gegrüßt – zur Winterzeit scheint es normalerweise sehr ruhig zu sein. Weiter dem Weg folgend, mittlerweile mit Sonnenlicht von der linken Seite und Weinfeldern auf der rechten Seite, erreichen wir eine Stunde nach unserem Aufbruch bereits Azofra, eine kleine Gemeinde mit ca. 200 Einwohnern. Und entscheiden uns für ein zweites Frühstück – Café con leche und „Huevos fritos con pan“ – Spiegelei mit Brot – dazu ein frisch gepresster Orangensaft.
Ich habe mich mittlerweile an diese regelmäßigen Pausen gewöhnt und verschlinge meine Mahlzeit hungrig und glücklich – wer viel pilgert, muss auch viel essen, damit man nicht vom Fleisch fällt.
Nachdem wir fast eine halbe Stunde sinnvoll vertrödelt haben, folgen wir dem Weg weiter dorfauswärts, auf den von uns geliebten Feldweg. Ivan, der spanische Krieger, macht aus Langeweile auf seinem Weg ab und an ein paar Liegestütze und Aurelio klappert uns mit seinen beiden Wanderstöcken langsam davon, immer monoton und beruhigend pilgernd.
Ivan und ich unterhalten uns ein wenig und stellen fest, dass wir bereits den achten Tag in Folge mit blauem Himmel und Sonnenschein pilgern und bisher noch keinen einzigen Regentag hatten. Und anmerken (Achtung, hochphilosophischer Erguss – Gefahr des Würgens), dass uns dadurch auch die innere Sonne deutlich heller strahlt (auch wenn uns vor den Regentagen ein wenig graut, erst Recht bei Temperaturen um den Gefrierpunkt).
High Society Break
Nach weiteren 8 Kilometern und knapp zwei Stunden später erreichen wir zur Mittagszeit einen Golfclub, den „Rioja Alta Golf Club“, ca. auf halber Strecke unserer heutigen Tour und nahe der kleinen Gemeinde Ciriñuela. Auch hier gibt es erneut eine längere Pause mit kalter Cola und Tortilla de Patatas, meinem Lieblingssnack in Spanien. Der Baustil der Ortschaft, in welcher sich der Golfclub befindet, ist durchaus interessant und sehr unterschiedlich. Die meisten Reihenhäuser sehen identisch aus – ein paar Meter weiter stehen einige Einfamilienhäuser einsam auf einer großen Wiese. Und natürlich, wie fast in jedem Dorf und jeder Gemeinschaft, ein Pelotaspielfeld (dem squashähnlichen Spiel, meist ohne Schläger)
Wenn ein Pilgerpass nicht ausreicht…
Wenn man sich die Blogbeiträge so durchliest könnte man meinen, wir haben nur Pausen gemacht und sind nebenbei ein bisschen gepilgert – aber das Gegenteil ist der Fall. Denn die meiste Zeit des Tages verbringt man damit, die Natur zu genießen, den Weg wirken zu lassen, sich ab und an zu unterhalten und oftmals auch einfach mit sich selbst allein zu sein. Gedanken kommen und gehen zu lassen. Erinnerungen zu entdecken. Und viele Kilometer aufwärts, abwärts und geradeaus zu pilgern. Und jeden Tag neu aufzubrechen und neu anzukommen.
Die Gedanken heute kreisen undefinierbar hin und her. Ich lasse sie kommen und gehen. Pilgere mit meinen Begleitern Richtung Santo Domingo de la Calzada, einer Stadt mit ca. 6000 Einwohnern und einer beeindruckenden Kirche im Zentrum. Da ich die letzten Tage bereits festgestellt habe, dass mein Pilgerpass bei 2 Stempeln pro Tag nicht ausreichen wird, organisiere ich mir in der Kirche einen zweiten als BackUp. Hierfür habe ich die letzten Tage fleißig geübt, um selbst auf spanisch das Dokument zu erfragen. In der Kirche selbst stolziere ich mit meinem schweren Rucksack auf die Dame am Empfang zu und erbitte via „Hola necesito un sello para mi pasaporte de peregrino por favor“ einen Pilgerpass. Sie lächelt, überreicht mir einen Pilgerpass und ich entrichte ihr entsprechend die finanzielle Gegenleistung (ich glaube es war etwas zwischen 2-5€)
Nachdem wir uns aus der Stadt hinaus ein wenig verlaufen haben und keine Möglichkeit für eine Pause finden können, gehen wir den Weg ein Stück zurück und setzen uns in eine kleine Bar mit Platz am Fenster (da vor der Bar alle Plätze belegt sind). Heute lasse ich mich auf ein kaltes Bier mit Aurelio ein und bereue es schon bald. Das kühle Kaltgetränk drückt mich tief in meinen Stuhl und die Sonne drückt noch etwas fester. Während die Kellner um mich herum sehr gestresst wirken, verfalle ich in einen kurzen Moment der Ruhe und beschwippsten Fröhlichkeit. Auf zur letzten Tagesetappe. Vor der Bar unterhalten wir uns noch kurz mit einer Dame, die einen kleinen Welpen spazieren führt. Während sie uns einen Buen Camino wünscht, beißt er ihr mehrfach spielerisch in die Hose.
Sonnige Aussichten in Grañón
Wir überqueren bald den „Rio Oja“ – daher auch der Name der Region Rioja. Die letzten Kilometer des Tages ziehen sich wieder entlang endloser Feldwege, Straßen, sengender Hitze und dennoch einem Gefühl von Leichtigkeit. Ich höre ein wenig Musik und freue mich auf die Ankunft an unserem Tagesziel. Es ist immer wieder ein Erfolgsgefühl, nach einem langen Tag, vielen Kilometern und unzähligen Gedanken anzukommen. Nicht zu wissen, wie die Unterkunft sein wird. Sich auf einen bequemen Stuhl zu setzen, etwas Kühles zu trinken und die Ankunft voll und ganz zu genießen. Wir erreichen unser Ziel Grañón gegen 16 Uhr, am „Ortseingang“ betrachten wir erneut ein wunderbares Kunstwerk eines Pilgers. Unsere heutige Unterkunft entspricht eher einer kleinen Pension und ist mit 22€ pro Person (in einem Dreibettzimmer, jeder mit einem Einzelbett) bisher die teuerste auf unserem Weg. Mir kommt allerdings recht zügig der Gedanke, dass wir dennoch vergleichsweise günstig übernachten können und genieße gemeinsam mit Aurelio und Ivan die letzten Sonnenstrahlen vor einer Bar in der Nähe unserer Unterkunft. Hier steht zu meinem Erstaunen ein Automat mit allen notwenigen Dingen, die ein Pilger zur Versorgung von Wunden und kleinen Wehwechen so braucht. Allen voran natürlich Blasenpflaster ohne Ende – zu meiner großen Freude und dank hervorragender (schwerer und vor allem scheiß teurer) Wanderschuhe habe ich zu meiner großen Überraschung keine Probleme mit irgendwelchen Fußblasen.
Während Aurelio nach der Ankunft in der Pension ein Nickerchen macht, nutzen Ivan und ich die Zeit, um ein wenig spazieren zu gehen (wir waren ja nicht schon genug zu Fuß unterwegs heute) und setzen uns am Ortsausgang auf eine Bank mit Blick auf den uns bevorstehenden Weg. Nachdem wir den Sonnenuntergang fasziniert und zufrieden beobachtet haben, geht es für uns zurück zur hiesigen Bar auf ein Abendessen und einen guten Rotwein.
Die Stimmung ist heute sehr ausgelassen und wir lachen viel, uns gegenüber sitzt eine große Menschenmenge, offenbar gibt es einen Geburtstag zu feiern. Ich verschlinge hungrig und wie wild mein Abendessen und freue mich bereits jetzt auf den nächsten Tag und die Etappe – denn ich werde endlich auf deutsche Pilger treffen und ein Wellnessfußbad Deluxe im Sonnenschein machen 🙂
Zusammenfassung Tag 8
Nájera – Azofra – Santo Domingo de la Calzada – Grañón
Entfernung: 27,5 km
Gesamtstrecke: 217,6 km
Höhenmeter aufwärts: 518 m ; Höhenmeter abwärts: 283 m
minimale Höhe: 499 m ; maximale Höhe: 746 m
Dauer: 7,5 h
Fazit des Tages:
„Nur du bist für deine Gefühle verantwortlich und kannst sie regulieren und in eine andere Richtung lenken“
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