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Tag 2 | Von A wie Aurelio bis Z wie Zubiri

Last updated on Juli 11, 2022

Geschätzte Lesedauer: 12 Minuten

Wie auf der Hunderennbahn

Hast du dich schon einmal gefragt, warum du nicht schlafen kannst, obwohl dein Körper fix und alle ist? Warum du nicht zur Ruhe kommst, obwohl der Körper nach Entspannung und Erholung dürstet?
Mir zumindest ist diese Frage auf meinem Jakobsweg ständig durch den Kopf gegangen. Die erste Nacht in einer Pilgerunterkunft in Roncesvalles war sehr durchwachsen. Ständig wurde ich aus meinem Halbschlaf gerissen. Ständig hat sich irgendjemand bewegt, es knarrte oder jemand hat mehr oder weniger störend geschnarcht. Ich werde niemals irgendwem wieder einen Vorwurf machen, der sich von schnarchenden Menschen gestört fühlt und deshalb das Zimmer verlässt. Denn auch ich musste diese Entscheidung auf meinem Weg mehrfach treffen…

Tipp
In-Ear Kopfhörer eignen sich wunderbar als Alternative zu fusseligen Oropax

7.00 Uhr – mein Wecker klingelt mich aus meinem wenig erholsamen Schlaf. Mark ist bereits verschwunden und einige andere Pilger sind bereits auf den Beinen. Ich reibe mir übermüdet die Augen und packe meinen Rucksack zusammen. Die vorgeschlagene Strecke laut Etappenplan für heute: Roncesvalles – Zubiri, ca. 21 km. Den Rucksack geschultert, schleppe ich mich gegen 8.00 Uhr zum Frühstück in das nahe gelegene Restaurant – hier sitze ich zusammen mit Daigo am Frühstückstisch. Die freundliche Bedienung reicht uns Toast, Croissants und Kaffee. Im Gegensatz zum gestrigen Tag esse ich ausgiebig, um einem weiteren Energieleck vorzubeugen – wer weiß, was vor mir liegt. Obwohl ich die Gesellschaft von Daigo und den anderen Pilgern genieße, sagt mir mein Bauchgefühl, dass es Zeit für mich ist, alleine zu starten und den Morgen zu genießen. Also auf in den Tag – buen Camino, Felix!

Feldweg aus Roncesvalles Richtung Zubiri entlang der Hauptstraße, die Beschilderung des Jakobsweges ist gut erkennbar

Gegen halb neun verabschiede ich mich und folge dem Weg Richtung Zubiri – einem anfangs kleinen Feldweg rechterhand entlang der Hauptstraße. Von weitem höre ich plötzlich zwei bellende Hunde und mache mich bereits gefasst, angeknurrt und angebellt zu werden. Doch was dann kommt, erinnert ein wenig an ein Pferderennen auf zwei geraden Bahnen. Die beiden Hunde scheinen eine Art Wettrennen mitten auf der Straße zu veranstalten, jeder auf einer Seite der Hauptstraße, Richtung Roncesvalles. Ohne schweren Rucksack hätte ich die beiden mit Sicherheit locker eingeholt und überholt 🙂

Warum bist du hier?

Während ich nun dem einsamen und verträumten kleinen Waldweg an der Straße folge, schweifen meine Gedanken immer wieder ab und kreisen um allerlei Themen (dieses Gedankenmurmeltier wird mich mehr als einmal täglich grüßen – und euch auf dem Laufenden halten). Wie bereits an meinem ersten Tag stelle ich mir die Frage, warum sich Menschen auf den Weg machen. Welchen Mehrwert sie sich von einer langen und ungewissen Pilgerreise erwarten. Was der Sinn des Jakobsweges ist.
Denn was ist der Jakobsweg im Grunde genommen?
Eine lange Wanderung mit zum Teil unbequemen Betten. Mit schnarchenden Menschen. Und steinigen Wegen. Mit verschwitzten Klamotten. Mit überfüllten Herbergen. Mit Rücken-, Schulter- und Knieschmerzen. Und stinkenden Wanderschuhen. Und der immer wieder auftauchenden Frage, was zum Teufel man hier eigentlich macht. Pilgern? Wandern? Die Suche nach DER einen Antwort? Wer erwartet hier von wem irgendeine Art Erlösung oder Erleuchtung?

«Sobald ein Mensch weiß, warum er hier ist, warum er existiert, welchen Grund es dafür gibt, dass er am Leben ist, wird er den Wunsch haben, dem Sinn und Zweck seiner Existenz gerecht zu werden.»
aus „Das Café am Rande der Welt“ – John Strelecky

Ich glaube im Grunde genommen ist der Jakobsweg für viele Menschen eine Möglichkeit, ein Gespräch und eine positive, kritische und lange Auseinandersetzung mit sich selbst zu führen. Eine Antwort zu finden auf die Frage, wer sie sind, wer sie sein möchten und wie groß die Diskrepanz zwischen diesen beiden Antworten liegt. Eine Suche nach Antworten auf Fragen, die man selbst nicht kennt. Im Grunde genommen ist der Jakobsweg nur ein kleiner, physischer Teil des Weges, den die meisten Pilger gehen. Der viel größere Weg liegt in ihnen selbst. Hinter ihnen. Vor ihnen. Und irgendwie dazwischen.
Sehr passend zu diesen Gedanken werde ich auf meinem späteren Weg erfahren, wie der Camino Frances inoffiziell aufgeteilt wird – nämlich in drei große Etappen.

Aurelio und Ivan

Ich folge nun einem langgezogenen Feldweg, vorbei an kleinen Bauernhöfen und großen, eingezäunten Feldern. Pferdefreunde wären bereits jetzt hoffnungslos verloren gewesen und stundenlang stehengeblieben, um die hübschen Tierwesen beim Grasen zu beobachten und sie mit SchnickSchnack Geräuschen zu sich zu locken. Hier treffe ich auf den Pilger Ivan aus Spanien, der offenbar zu dieser Sorte gehört und der meinen späteren Weg prägen wird. Wir grüßen uns kurz, wünschen uns einen „Buen Camino“ und ich folge dem Feldweg weiter.
Pferde sind mir immer noch unheimlich und werden es auch bleiben. Nachdem ich mit 15 Jahren einmal geritten bin und die Pferdehalterin es lustig fand, plötzlich die Leine (nennt man das so?) loszulassen, ist mein Bedarf an Ausritten gedeckt. Und dabei ist das Pferd damals gemütlich weitergegangen (geht das Pferd oder stolziert es?) und nach einigen Metern der Todesangst in gefühlt fünf Metern Höhe durfte ich wieder absteigen und der Gefahr entkommen. Auch ich habe übrigens vergeblich versucht, das Tier mit SchnickSchnack und Hoooooo-Geräuschen zum Anhalten zu bewegen. Leben am Limit!

Winterlicher Feldweg außerhalb von Roncesvalles – hier treffe ich Ivan zum ersten Mal

Da ich mir nach meinem gestrigen Energieleck vorgenommen habe, mich mehr auf Pausen und kurze Momente der Erholung zu konzentrieren, stoppe ich nach einer knappen Stunde des Wanderns für ein paar Minuten in einem kleinen Wald. Hier werde ich von einem weiteren, weitaus ältern Pilger überholt. Er trägt nur einen sehr kleinen Rucksakck bei sich, heißt Aurelio und ich bin beeindruckt, wie wenig ein Pilger bei sich tragen kann, vor allem im Winter (später allerdings erfahre ich, dass er für seine ersten beiden Etappe einen Transportservice genutzt hat – Fux muss man sein!). Auch dieser Pilger wird meinen weiteren Jakobsweg prägen und mich jeden Tag nicht nur beeindrucken und inspirieren, sondern auch von Zeit zu Zeit tierisch nerven 🙂

Auf dem Weg nach Zubiri – und vor mir Aurelio mit leichtem Gepäck

Zubiri – Dorf an der Brücke

Aurelios Art zu Pilgern hatte etwas Mystisches und Hypnotisierendes. Bei geraden Wegen hielt er seine Wanderstöcke meist in der rechten Hand. Sobald es bergauf oder bergab ging, nutzte er sie und lief im Gleichtakt eines Metronoms. Klick Klack. Klick Klack. Klick Klack.
Die Route führt mich nun durch Burguete und Espinal, zwei kleinere Gemeinden mit einigen wunderschönen Steinhäusern. Da auch hier zum Großteil keine Menschenseele zu sehen war oder ein offenes Café zu erkennen war, bin ich gemütlich durch die Gemeinden gepilgert und habe diese wieder verlassen.

Kirchengebäude in Burguete – nahezu jede noch so kleine Gemeinde verfügt über eine religiöse Einrichtung

Immer wieder verlasse ich solche kleine Gemeinden und Dörfer, um mich kurz darauf auf Feldwegen oder mitten in kleinen Wäldern wiederzufinden. Ein ständiger Wechsel zwischen landschaftlichen Highlights und kleinen, schläfrigen Dörfern. Es sind kaum Menschen auf den Straßen oder auf den Wegen zu finden – im Sommer ist der Jakobsweg allerdings oft überfüllt mit Pilgern und wahrlich kein Ort für Rückzug und Ruhe.

Trotz der menschenleeren Straßen und Wege nehme ich überall kleine Geräusche wahr, Vogelgezwitscher (offensichtlich wahre Winterliebhaber), das Rascheln von Blättern im Wind und immer wieder auch meine eigenen Schritte. Durch die Regelmäßigkeit meiner eigenen Schritte erreiche ich eine gewisse innere Ruhe und genieße die Einsamkeit und die Natur um mich herum. Ein kurzer Einblick in eine Art Wandertrance ohne störende Gedanken oder Kopfchaos. Das hat Seltenheitswert und gehört in die Kategorie „taugt was“.
Und plötzlich ist es bereits 13.00 Uhr und ich erreiche mein geplantes Tagesziel – Zubiri – Dorf an der Brücke.

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Ankunft in Zubiri – Dorf an der Brücke – 13.00 Uhr

Die Brücke, über welche man das Dorf erreichen kann, wird auch als Puente de la Rabia – als „Tollwut-Brücke“ bezeichnet. Früher wurde hier das Vieh dreimal um den Pfeiler der Brücke getrieben, um es vor Krankheit und Verderb zu schützen. Ich selbst erspare mir den Ritus, ich möchte nicht noch mehr große Vierbeiner in meinem Kopf haben (denn auch zu Kühen pflege ich kein freundschaftliches Verhältnis) und irre ein wenig durch das kleine Dorf. Ich habe nicht damit gerechnet, so schnell mein Tagesziel zu erreichen und fühle mich ein wenig hilf- und ra(s)tlos.

Wie verhält man sich als Pilger, wenn man bereits zur Mittagszeit am Etappenziel angekommen ist? Da ich weder eine Unterkunft noch einen Plan habe, entscheide ich mich, mir meinen ersten Stempel des Tages in einer hiesigen Bar zu holen. Überrascht stelle ich fest, dass die gesamte Bar voll mit Menschen ist und glücklicherweise kann ich Aurelio an der Bar erkennen. Ich stiefele ein wenig unbeholfen zu ihm und versuche ihm auf englisch zu erklären, dass ich einen Stempel für meinen Pilgerpass benötige. Nach einem kurzen „Que?“ ist mir klar, mit Englisch komme ich bei Aurelio nicht weiter. Also habe ich meinen Pilgerpass aus meinem Rucksack gefummelt. Der Barmann hat das ganze Spiel beobachtet und mir ungefragt einen Stempel sowie Stempelkissen in die Hand gedrückt.

Die hiesige Bar in Zubiri (rechte Seite) ist mein erster Anlaufpunkt – hier erhalte ich meinen ersten Stempel des Tages

Der erste Stempel, den ich selbst in meinen Pilgerpass verewige – ein ungewohntes und dennoch berauschendes Gefühl. Momentan ist der Pass mit seinen vielen Seiten so gut wie leer – am Ende meiner Reise wird er mit Stempeln aus ganz Spanien gefüllt sein und seine eigene kleine Geschichte erzählen. Ich notiere das aktuelle Datum unter meinem Stempel und bitte um eine Flasche Wasser. Aurelio gibt mir zu verstehen, dass ich mich zu ihm gesellen soll. Vor ihm steht ein kleiner Snack sowie ein großes Bier. Mithilfe einiger Übersetzungstools können wir eine kurze Unterhaltung führen.

«Langfristige Planung funktioniert auf kurze Sicht am besten.»

Euripides

Aurelio ist 71 Jahre jung und kommt ursprünglich aus Madrid. Vor einem Jahr ist er noch einen Marathon gelaufen und möchte nun den Camino Frances pilgern. Er berichtet mir außerdem, dass er einen Rucksacktransport bis Pamplona in Anspruch genommen hat (deshalb hat er nur einen so kleinen Rucksack bei sich und ist schnell wie Speedy Gonzales – ich wittere Betrug!) und später weiter pilgern möchte. Ich zücke mein Telefon und tippe eifrig in meine Camino Ninja App. Zubiri – Pamplona – ca. 20km. Ich schaue auf meine Uhr. 13.30 Uhr. Mein Körper fühlt sich fit genug…
Ach was soll’s – bevor ich hier rumsitze und mir zur Mittagszeit schon das erste Bier bestelle – auf nach Pamplona!

Von Magnesium, Schafen und müden Füßen

Im Laden nebenan, der eine Mischung aus Gemischtwarenladen, Lebensmittelladen, Fleischer und Käserei zu sein scheint (und eine Verkaufssfläche von ca. 30m² hat) decke ich mich mit den wichtigsten Dingen für den weiteren Tagesverlauf ein: Bananen, Wasser – und Schoki 🙂
Im Anschluss führt mich mein Weg zurück zur Brücke, hinaus aus Zubiri und wieder entlang auf den ausgeschilderten Jakobsweg. Das Gelände wirkt nun etwas offener und die Sonne strahlt. Nachdem ich Zubiri einige Meter hinter mir gelassen habe, höre ich mehr und mehr Baustellengeräusche. Laute Motoren, große Maschinen und aufgewirbelter Staub. All das kommt von einem großen Gelände nicht weit von der kleinen Gemeinde entfernt. Ein großer Tagebau für die Gewinnung von Magnesium, großflächig abgezäunt. Hier wird bereits seit mehreren Jahrzehnten abgebaut. Da ich allerdings ausreichend Bananen im Gepäck habe, verzichte ich auf einen Besuch im Tagebau und beobachte das Spektakel eine Weile aus sicherer Entfernung 🙂

Tagebau außerhalb von Zubiri – hier wird seit Jahrzehnten Magnesium durch die Firma „MAGNESITAS NAVARRAS“ abgebaut

Durch die großen Maschinen, die auch teilweise den Jakobsweg Richtung Tagebau kreuzen, sind immer wieder große Reifenspuren im trockenen Feldweg zu erkennen. Wie es hier an heißen Sommertagen wohl aussieht? Ich mag es mir gar nicht ausmalen – die Luft ist herrlich und angenehm kühl, der Weg vor mir wechselt sich nun ab zwischen kleinen Wäldern, Feldwegen und immer wieder kleineren Gemeinden und Dörfern. Ich verfalle nun mehr und mehr in eine innere Ruhe und genieße den Weg und die Landschaft.
Nach einigen Kilometern holt mich Aurelio mit seiner metronomhaften Gangart ein. Klick Klack. Klick Klack. Klick Klack. Die Stöcke in beiden Händen, überholt er mich, wünscht mir mit seiner tiefen Stimme einen „Buen Camino“ und ist nach kurzer Zeit verschwunden aus meinem Sichtfeld. Und ich bin fassungslos. Er hatte ein großes Bier zum Mittag und überholt mich mit einer Lässigkeit und Freude, dass es mich schon fast anstachelt, ihn einzuholen. Aber ich lasse diesen kurzen Impuls verfliegen und pilgere weiter Richtung Pamplona. Mit meinem schweren Rucksack habe ich heute keine Chance gegen diesen fitten Spanier.

Kurzer Stopp in der kleinen Gemeinde „Ezkirotz“ –

Nachdem ich im kleinen Ort „Ezkirotz“, der nicht mal 20 Einwohner hat, einen kurzen Stopp an einer Mauer eingelegt habe, folge ich dem Weg weiter. Und wieder wechselt die Landschaft zwischen offenen Feldwegen, kleinen Gemeinden und Wald. Diese Vielfalt und landschaftliche Abwechslung habe ich so nicht erwartet und bin immer wieder beeindruckt.

Kurze Pause in Ezkirotz mit Ausblick auf ein fantastisches Steinhaus – vom Winter keine Spur

Auf meinem Weg weiter Richtung Etappenziel muss ich einen ungeplanten Stopp einlegen – vor mir kreuzt eine Schafherde, angeführt von einem stolzen Schäferhund und einem älteren Schäfer. Der Großteil der Herde folgt brav den Anführern, nur einige Schafe springen immer wieder von links und rechts in die Gruppe hinein. Manche von den kleinen Schafen bleiben kurz stehen und beobachten mich interessiert, bevor sie sich schnell wieder in ihre Herde einreihen. Ich mustere die Herde, kann allerdings leider keine bekannten Gesichter erkennen 🙂

Kein Durchkommen – die Schafherde hat Vorfahrt

Anschließend führt mich der Weg nun entlang einer Hauptstraße – nichts Ungewöhnliches auf dem Jakobsweg. Allerdings muss man hier oftmals auf dem Seitenstreifen pilgern – nicht unbedingt ein sicherer und spiritueller Pfad. Ich entscheide mich schnell, die linke Straßenseite zu nutzen, um zumindest den Straßenverkehr vor mir im Blick behalten zu können und notfalls in den Graben links von mir zu springen.

Pilgerpfad entlang der Hauptstraße – Spiritualität mit Pferdestärken

Auf meinem Weg weiter Richtung Pamplona stellen sich nun langsam erste Ermüdungserscheinungen ein. Vor mir liegen noch gut 10 Kilometer und ich spüre die 11 kg auf meinem Rücken und die hinter mir liegenden 30km in den Füßen. So wie meine Beine nachgeben und aufgeben wollen, hat der Asphalt auf dem Weg vor mir aufgegeben. Hier ist ein Teil der Straße abgerutscht und abgesperrt – ich muss einen kleinen Umweg in Kauf nehmen, um nicht Teil der abgestürzten Masse zu werden.

Abgesperrter Straßenteil nach einem Erdrutsch

Die letzten Kilometer Richtung Pamplona folge ich dem Pfad nun zuerst bergauf, später immer den Hang entlang. Meine Füße melden sich wieder und wollen mir gehörig in den Hintern treten. Offenbar wäre Zubiri doch eine gute Alternative gewesen – ein kühles Getränk, ein bequemer Stuhl, ein Eisbad für die müden Treter. Stattdessen Quälerei am Hang und pralle Sonne im Gesicht, dafür allerdings mit fantastischer Aussicht und der Vorfreude, anzukommen.

19.00 Uhr – vor mir liegen noch 2 Kilometer und wie aus dem Nichts steht plötzlich Aurelio wieder vor mir – wir gehen ein Stück des gemeinsamen Weges und freuen uns erschöpft auf unsere Unterkunft und den wohlverdienten Stempel in unserem Pilgerpass. Kurz vor der Ankunft verabschiedet sich Aurelio bereits wieder von mir, er möchte einen alternativen, letzten Kilometer zur Pilgerunterkunft wandern. Meine Füße sind nun entgültig bereit für eine Woche Wellness, doch die letzten Meter führen mich wieder aufwärts in die Stadt. So wird es übrigens die meisten Tage meiner Pilgerreise ablaufen – die letzten Meter geht es meist bergauf…

Kurz nach halb acht erreiche ich erschöpft, hungrig und mit pochenden Füßen mein Ziel – die Pilgerunterkunft in Pamplona. Was für ein Tag – ungeplant 20 Kilometer mehr in den Beinen, bestes Wetter und grandiose Aussichten liegen hinter mir. Und vor mir liegen nun eine heiße Dusche, ein königliches Festmahl und ein Himmelbett!

Essen wie ein König in Pamplona

Es folgen die typischen Rituale nach Ankunft in der Pilgerherberge. Einchecken, Pilgerpass vorzeigen, Bettwäsche in Empfang nehmen, Bett aussuchen und vor allem: Duschen! Beim Check-In spricht mich ein Pilger aus Großbritannien an, er wirkt angetrunken und ich verstehe ihn sehr schlecht. Sinngemäß berichtet er mir, dass er den Weg bereits zum 14. Mal pilgert und wir uns sicher öfter auf dem Weg begegnen werden. In seiner Hand trägt er zwei Pilgerpässe, seinen eigenen sowie den Pass seiner Frau. Er bittet die Dame am Empfang, den Pass seiner Frau auch zu stempeln, da sie momentan noch auf dem Weg sei und er bereits einchecken möchte. Bis zum Ende meiner gesamten Pilgerreise treffe ich diesen Pilger allerdings immer allein in den Pilgerunterkünften an… 🙁

Nachdem ich meinem Körper eine ausgiebige und heiße Dusche gegönnt habe und mich wieder wohl und frisch anfühle, führe ich eine kurze Unterhaltung mit einem älteren deutschen Paar. Die beiden sind den Weg von Santiago de Compostela nach Pamplona gepilgert und reisen morgen zurück nach Deutschland. Nachdem mir die beiden eine Empfehlung für eine nahe gelegene Bar gegeben haben, verabschiede ich mich hungrig und energielos von den beiden. Nach wenigen Minuten stehe ich voller Vorfreude vor der kleinen Bar und drehe enttäuscht und noch hungriger den Rückweg an. Geschlossen.

Speisen wie ein König in den heiligen Hallen der Pilgerunterkunft zu Pamplona

Da ich keine Lust habe, mich groß in die Sterneküche von Pamplona einzulesen und weiter durch die Stadt zu tigern, decke ich mich am nahe gelegenen Eckshop mit den wichtigsten und gesündesten Lebensmitteln ein, die man sich nach einem anstrengenden Tag als Pilger nur vorstellen kann. Ramen, Brot und Bier! Es ist nun bereits 21.00 Uhr, das königliche Abendmahl ist reichhaltig und typisch spanisch angehaucht. Und mein Körper ruft nach Ruhe, Schlaf und Erholung. Die Unterkunft mit ihren vielen Etagenbetten ist zum größten Teil leer und ruhig – ich lege mich kurz nach 22.00 Uhr in mein Bett – Aurelio hat sich das Etagenbett direkt neben mir geschnappt und grunzt bereits munter vor sich hin. Auf eine gute und erholsame Nacht – wer zuerst einschläft, gewinnt!

Zusammenfassung Tag 2

Roncesvalles – Zubiri – Pamplona
Entfernung: 41,6 km
Gesamtstrecke: 65,3 km
Höhenmeter aufwärts: 877 m ; Höhenmeter abwärts: 1369 m
minimale Höhe: 416 m ; maximale Höhe: 949 m
Dauer: 9 h
Fazit des Tages: „Jeder geht seinen eigenen, individuellen Camino. Mit eigenem Ballast, eigenen Gedanken und Emotionen. Auch wenn das Ziel für alle gleich ist, wird jeder Pilger woanders ankommen“

Published inJakobsweg - Camino Frances

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Camino - auf dem Jakobsweg
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